Janine Berg-Peer/ Dezember 30, 2023/ Alle Artikel, Angehörige, Kritisches, Termine/ 0Kommentare

Feiertage sind nicht einfach für Angehörige psychisch Erkrankter

In den letzten Tagen habe ich viele Artikel darüber gelesen, dass Feiertage und gar so wichtige

Alles aus meinem Garten

Feiertage wie Weinachten und dann Sylvester schwierig sind für Betroffene. Oft leben sie vereinzelt, habe wenig Freund*innen und haben auch oft kein Geld, um Sylvesterpartys zu besuchen oder in die wenigen Restaurants zum Essen zu gehen, die über diese Tage geöffnet haben. Oft geht es ihnen auch viel zu schlecht, um sich überhaupt aufzuraffen, andere Menschen anzurufen und sich mit ihnen zu verabreden. Ich freue mich, dass Selbsthilfe- oder auch Betroffenen-Verbände versuchen, mit eigenen Veranstaltungen dieser Vereinzelung entgegenzuwirken.

Was ist aber mit uns Angehörigen? Auch wenn wir Bekannte haben und sogar ausreichend finanzielle Möglichkeiten – wie sollen wir diese Feiertage für uns gestalten? Wir müssen jedes Jahr aufs Neue überlegen, wie und ob wir mit dem erkrankten Kind feiern können. Uns lädt niemand ein, da ist ja dieses schwierige Kind. Wir wissen nicht, wie wir diese Tage mit unseren Betroffenen so planen können, dass es für beide Seiten friedlich und vielleicht sogar schön verläuft. Wie oft habe ich Weihnachten auf einer psychiatrischen Station verbracht? Gut, in vielen Fällen haben sich die Mitarbeiter*innen Mühe gegeben, es auch unter diesen schwierigen Umständen schön zu gestalten. Musik, Kekse, ein Weihnachtsbaum. Vielleicht ging es unseren Kinder auch gut genug, dass sie neben uns in dem Aufenthaltsraums saßen und sich die Musik anhörten. Mir ging es nicht so richtig  gut  dabei. Meine Tochter war viel zu nervös und rannte ständig nach draußen, um zu rauchen. Gut, ich war wenigstens da und ich hoffe, das sie das gefreut hat.

Feiertage sind nicht einfach für Angehörige psychisch Erkrankter

Diese Krankenhaus-Weihnachten oder -Sylvester bedeuten aber für viele von uns Angehörigen, dass wir gemeinsame Feiern mit Freund*innen oder Verwandten absagen müssen. Diese wollen – natürlich – nicht mit ins Krankenhaus, die erkrankten Kinder sollen aber auch nicht mit zu diesen Feiern, weil sie die anderen stören oder die Betroffenen selbst die Anwesenheit von vielen Menschen aufregt oder verängstigt. Was ist, wenn wir noch weitere Kinder haben, die auch gern mit uns feiern würden? Das müssen wir auch absagen, oder wir haben extrem schlechtes Gewissen. Sollen wir unsere Kinder zu uns nachhause entladen? Wir wissen aber nicht, ob es wieder zu einer Eskalation kommen wird, vor der wir uns fürchten und die wir gerade Weihnachten oder Sylvester nicht wollen.
Was ist, wenn die Erkrankten schon gleich sagen, dass sie auf keinen Fall mit uns feiern wollen? Auch das macht uns nicht glücklich. Wir besuchen dann vielleicht Freund*innen oder Verwandte,

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denken aber ständig daran, dass der oder die Erkrankte völlig allein zuhause sitzen wird. Oder, wie ich das viele Jahre getan habe, wir bereiten etwas Schönes vor, immer in der Hoffnung, dass die Tochter oder der Sohn dann doch vielleicht kommen wollen. Wie oft habe ich da gesessen und gewartet, bis meine Tochter mich anrief und mit einer total müden Stimme sagt, sie schaffe es nicht, sie könne nicht kommen und nein, sie wolle auch nicht, dass ich sie abhole. Das wäre ihr einfach zu viel.

Feiertage sind nicht einfach für Angehörige psychisch Erkrankter

Wie oft haben mir aber auch Freund*innen abgesagt, wenn ich meine Tochter mitbringen wollte, in Zeiten, in denen es ihr schon etwas besser ging. Nein, das wollten sie nicht, sie wäre immer so schwierig und das wäre für die anderen Gäste nicht schön. Es solle schließlich ein schöner und lustiger Abend werden. Und wenn ich sie dann doch einmal mitbringen durfte, dann war ich den ganzen Abend aufgeregt, ob nicht irgendetwas passieren würde, ob etwas sie aufregen würde und sie dann ungnädig würde.

Oft fragen uns Angehörige in unseren Online-Gruppen, wie sie das denn nun mit Weihnachten oder Sylvester machen sollen. Wir überlegen dann gemeinsam und oft finden wir dann auch gemeinsam

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eine Möglichkeit, es für alle Seiten trotz allem schön zu gestalten und vor allem für die Mütter eine Möglichkeit zu finden, doch nicht vollkommen allein oder voller Aufregung diese Feiertage zu begehen.

Ich habe jahrelang über Weihnachten und Sylvester allein zuhause gesessen, immer in der Hoffnung, dass es meiner Tochter nicht schlecht ging oder vielleicht so gut, dass sie gern zu mir käme. Anfangs war ich etwas traurig, dass sich niemand die Mühe machte, auch für mich sich etwas auszudenken. Aber so war es eben.
Im Nachhinein waren die Weihnachten auf der Psychiatrie-Station noch die angenehmsten: Ich musste nichts vorbereiten, ich musste keine Angst haben, dass sich irgendjemand über sie ärgerte und ich hatte die Möglichkeit, mich mit anderen Angehörigen oder auch anderen Betroffenen nett zu unterhalten. Meine Tochter war ohnehin immer im Raucherpavillon. Ausserdem erfuhren wir, dass manche Psychiater*innen richtig gut Klavierspielen oder singen konnten. Und manchmal kam das

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ganze BSR Orchester (Berliner Stadtreinigung!) auf die Station und sie haben für de Erkrankten Musik gemacht. Das fanden eigentlich alle schön.

Feiertage sind nicht einfach für Angehörige psychisch Erkrankter

Feiertage sind also nicht einfach für Angehörige psychisch Erkrankte. Heute habe ich, haben wir, das große Glück, dass es meiner Tochter seit vielen Jahren schon richtig gut geht und wir gerne zusammen feiern. Jetzt laden wir zu diesen Anlässen oft andere Angehörige oder Betroffene ein, die sonst allein zuhause säßen. Das wird dann meistens sehr nett. Und wenn mal jemand etwas „schwierig“ wird – wir können damit umgehen.

Allen eine gute Rutsch, trotz allem, und ein besseres und friedliches Neues Jahr!

Janine Berg-Peer und Henriette Peer

Janine und Henriette

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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