Janine Berg-Peer/ Februar 14, 2013/ Alle Artikel/ 0Kommentare

04_FilmeStigmatisierung psychisch Kranker 

Die Situation für psychisch Kranke in den USA ist skandalös. Es ist schwierig, überhaupt Hilfe zu bekommen und für Menschen ohne ausreichende finanzielle Ressourcen fast unmöglich. Der Journalist Pete Earley gibt eine Vorstellung davon in seinem erschütternden Buch Buch „Crazy. A Father´s Search Through American´s Mental Health Madness“ – „Verrückt. Die Suche eines Vaters durch die Verrücktheit von Amerikas Gesundheitssystem für psychisch Kranke“. Etwas zynisch wird von Kennern empfohlen, dass ein psychisch Kranker am besten mit dem Gesetz in Konflikt geraten sollte, weil erst dann die Möglichkeit für ihn besteht, medizinische Versorgung zu erhalten.

Nicht die Waffengesetze ändern, sondern Fokus auf psychisch Kranke richten!

Nach den schlimmen Schießereien der letzten Wochen und Monate ist plötzlich die gesundheitliche Versorgung psychisch Kranker in allen Medien in den USA. Denn, stellen vor allem Gegner der Verschärfung von Waffengesetzen fest, das Problem ist nicht die Verfügbarkeit von Waffen, sondern dass zu viele psychisch Kranke unversorgt herumlaufen. Die Huffington Post zeigt auf, welche vor allem republikanischen Abgeordneten sich plötzlich um die medizinische Versorgung psychisch Kranker sorgen, die noch 2008 gegen ein Gesetz gestimmt haben, dass eine bessere Versorgung psychisch Kranker vorsah.

Stigmatisierung psychisch Kranker durch falsche Aufmerksamkeit!

Nun könnte man sagen, dass alles gut ist, was eine bessere Versorgung von psychisch Kranken fördert. Aber das perfide an dieser Diskussion ist, dass – wieder einmal – ein enger Zusammenhang von psychischer Krankheit und kriminellen Handlungen öffentlich hergestellt wird. Psychisch Kranke werden stigmatisiert, weil diese Diskussion nahelegt, dass sie gefährlich seine. Ein geschickter Schachzug, könnte man sagen, um von der Verschärfung der Waffengesetze abzulenken. Diese beiden Themen dürfen überhaupt nicht gemeinsam diskutiert werden. Es ist nicht eindeutig erwiesen, dass psychisch Kranke in höherem Maße kriminell sind, als andere Menschen. Es scheint so, dass ausschließlich in der Gruppe jüngerer Menschen mit einer unbehandelten Erkrankung der Prozentsatz der Kriminalität höher ist als in der gesunden Vergleichsgruppe.  Die New York Times weist darauf hin, dass von den 120.000 Mordfällen durch Schusswaffen nur sehr wenige durch Menschen begangen wurden, die an einer psychischen Erkrankung litten.

Psychisch Kranke häufig Opfer, aber nicht Täter!

Tatsächlich sind an vielen kriminellen Vergehen psychisch Kranke beteiligt, aber nicht als Täter, sondern als Opfer! Auch hier zeigt Pete Earley, wie er für seinen an Schizophrenie leidenden Sohn keine medizinische Hilfe bekommen konnte, bis dieser „kriminell“ wurde: Er benutzte die Badewanne und ein Handtuch von Nachbarn, die zu dieser Zeit nicht in ihrem haus waren. Daraufhin kam der Sohn ins Gefängnis, war also kriminell.  Der Anteil von psychisch Kranken in amerikanischen Gefängnissen ist extrem hoch. Amerikanische Gefängnisse sind die größten Abnehmer von Neuroleptika, also die besten Kunden der Pharmafirmen. In einer Studie von 2005 wurde festgestellt, dass Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung 11 x eher Opfer eines Gewalttat werden als die allgemeine Bevölkerung. Das National Institute of Mental Health, NAMI, hat in einer Studie 2011 herausgefunden, dass psychisch Kranke sehr viel eher sich selbst als andere Menschen verletzen.

Diese Diskussion kennen wir auch in Deutschland in ähnlichen Kontexten. Und diese Diskussion ist in vieler Hinsicht verhängnisvoll: Sie ist nicht nur falsch und stigmatisiert psychisch Kranke, sondern sie wird auch dazu beitragen, dass psychisch Kranke – noch mehr als bislang – ihre Erkrankung verheimlichen (müssen), um in ihren Familien, am Arbeitsplatz und bei Freunden nicht noch mehr Ablehnung zu erfahren.

Aus: www.huffingtonpost.com

Republicans Pushing Mental health Care over Gun Control Were Once Against Key Mental Health Laws. (Ich kann gerade keinen Link einfügen, daher die Quelle in dieser Form).

Bildnachweis: w.r.wagner / www.pixelio.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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