Janine Berg-Peer/ April 3, 2014/ Alle Artikel, Angehörige, Termine/ 0Kommentare

„Schizophrenie ist scheiße, Mama!“ Vortrag beim SPDi Lörrach

zitonenmelisse-160-120Es war eine gelungene Veranstaltung, nein, nicht nur, weil ich dabei war :-), sondern dank aller Referent/innen, des Organisationsteams, der Location, wie man neudeutsch sagt und der aufgeschlossenen und trotz des schweren Thema vergnügten Angehörigen. Es fing schon gut an. Schlecht gelaunt fuhr ich zum Flughafen Tegel (ich hasse diesen Flughafen) und erwartete nur das schlechteste von EasyJet, der Billig-Airline. Aber schon die interessante Unterhaltung mit dem türkischen Taxifahrer, der Klassikfan ist und ebenso gern Opern hört wie ich, stimmte mich vergnügter. Er hatte dann auch Cosi fan tutte dabei. Wunderbar. Aber das Flughafenpersonal dann wie immer: Nein, ich könne nicht mit dem Lift fahren (seit einem Sturz auf dem Blitzeis habe ich ein paar Schwierigkeiten), ich müsse die Treppe raufklettern. Nicht mal ein kleines Lächeln, ein kleines „tut mir leid, aber…“. Ewige Gänge, die mit Brettern rechts und links ausgekleidet sind. 30-minütiges Warten in einer langen Schlange – kein Stuhl in Sicht. Vor mir ein Pärchen mit einem Säugling, der sich nicht wohl fühlte und brüllte. „Gehen Sie doch vor mit dem Kind“, sagte ich, „das dürfen Sie doch!“ „Die behandeln uns doch hier sowieso wie das Letzte“, sagt der junge Vater. „Wir haben schon mit dem Kinderwagen eine schlimme Stunde hinter uns.“ Auftritt Flughafenpersonal mit einem Herrn mit Rollator. Der darf durch, was ja auch richtig ist. Der junge Vater fragt, ob er sich anschließen kann mit Frau und Säugling. „Nein!“, das dürfen Sie nicht. „Nur dieser Herr hier!“ Wir gucken uns erstaunt an. „Aber“, versucht der Vater es nochmal,“ man darf doch mit einem Kleinkind vorgehen!?“ „Nein, wie kommen Sie denn darauf? Wo soll denn das stehen, das zeigen Sie mir mal! Und überhaupt, stellen Sie sich mal vor, wenn hier alle mit Kleinkind stünden“! Na gut, dann wurden wir alle böse und ich habe auf unsere Hoffnung auf Kinder in Deuschland hingewiesen, die „auch Ihre Rente erarbeiten werden, junger Mann!!!“ und dann war es gut. Die jungen Eltern durften mit. Das ist eben der Flughafen Schönefeld.

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Und dann war ich noch sauer, weil ich einen Fensterplatz hatte, was ich auch hasse, aber dann war der Fensterplatz sehr gemütlich, die Flugbegleiter nett, der Flug kurz, mein Buch super und ich war in Basel. Dort stand ein besonders freundlicher Herr Breiholz vom SPD und wir fuhren durch strahlenden Sonnenschein und blühende Bäume und eine wunderschöne Landschaft in das kleine Bad Krozingen. Auch süß und neben meinem Zimmer plätscherte ein Bächlein, die Krokusse blühten und die Forsythien auch – viel weiter als in Berlin. Ein nettes Städtchen und eine schöne Landschaft, ich überlegte schon, ob ich in diese Gegend umziehe, bis meine Begeisterung gebremst wurde durch die Tatsache, dass man dort nachmittags um 17:00 nichts zu essen bekommt! Die Küche macht erst um 18:00 auf. Merkwürdig. Aber dann aß ich lecker in einer Pizzeria, die erstaunlicherweise Amselhof heißt und alles war gut. Morgens dann wieder Fahrt nach Schloss Beuggen, was wirklich ein wunderschöner Bau und eine herrliche Tagungsstätte ist. Alles bei strahlendem Sonnenschein.

radieschen-160-120Der Psychotherapeut Piet Westhuis hielt ein interessantes Referat, in dem es auch über Verantwortung für die eigenen Gefühle ging. In meinem Vortrag ging es mir darum, wie wir Angehörigen lernen müssen, mit unsere Angst umzugehen. Aus Angst halten wir viel zu viel aus oder wir beginnen zu kontrollieren, beides ist weder für uns noch für unsere erkrankten Kinder gut. Unser Unterstützung muss dahin gehen, dass auch krisenanfällige Kinder so selbständig wie möglich werden. Wir leben nicht immer. Neinsagen ist wichtig, Abgrenzung und Loslassen. Das ist sehr, sehr schwer, wie ich selbst weiß. Und ich übe noch täglich. Aber ein Leben mit vollkommener Erschöpfung, täglicher Angst, chronischen Schmerzen, Bluthochdruck oder eigenen Depressionen ist auch schwer auszuhalten. Und das ist das Leben für viele Angehörige. Trauen wir unseren Kindern mehr zu, sie dürfen Dinge falsch machen, sie dürfen scheitern und wir unterstützen sie dabei, immer wieder weiterzumachen. Es ist ihr Leben, nicht unseres. Aber wir haben auch ein Recht auf ein gutes Leben.

„Schizophrenie ist scheiße, Mama!“ Vortrag beim SPDi Lörrachartischocke-160-120

Nachmittags hatten wir dann einen Workshop, in dem wir in sehr offener Weise unsere Themen diskutierten und versuchten, miteinander Lösungen oder wenigstens Ansatzpunkte zu finden. Ich habe mich gefreut, dass eine Angehörige zum Schluss aufstand und rief „Ich habe heute gelernt, dass psychisch Kranke auch sehr egoistisch sein können!“ Oh ja! Das können sie, aber wir müssen das nicht immer aushalten. Wir können eine Grenze ziehen. Nur dürfen wir es ihnen nie übel nehmen. Sie sind krank. Nicht immer, aber eben manchmal.

Ein leckeres Mittagessen, schöne Gespräche dicht neben dem Rhein, der zwischen den Schlossmauern durchguckte und strahlendes Wetter. Danke für diese gelungene Veranstaltung! Rückfahrt mit EasyJet war übrigens vollkommen ok, EasyJet ist viel besser als RyanAir, das ist wirklich die Härte. Zuhause empfingen mich meine Kater  Katull und Basquiat ein bisschen beleidigt, aber dann haben wir zusammen den EasyJet-Keks aufgegessen und uns einen schönen Film angesehen.

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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