Janine Berg-Peer/ April 25, 2018/ Alle Artikel, Angehörige, Termine/ 0Kommentare

Lesung in der Wuhletalkirche „Schizophrenie ist scheiße, Mama“

Gestern war ich eingeladen, um in der Wuhletalkirche aus meinem Buch vorzulesen. Frau Frauenstein vom Arbeitskreis der Wuhletalkirche hatte als wunderbar vorbereitet, Herr Frauenstein holte mich sogar am S-Banhof ab und half mir, die Hürden der Bahnhofstreppe zu überwinden. Es kamen ungefähr 60 Zuhörer*innen, nach der Lesung haben wir miteinander diskutiert, was viel Spaß gemacht hat. Frau Frauenstein hat zusätzlich eine Psychiaterin eingeladen, die früher dort gearbeitet hatte und gut fachliche Informationen beisteuern konnte.

Interessant war, dass neben anderen Themen auch die Frage aufkam, ob man seinem Kind raten könne, trotz der Medikamente ein Kind zu bekommen. Es wurde das Für und Wieder diskutiert, wobei ich die Meinung vertrete, dass ich diesen Wunsch meiner Tochter nicht ausreden würde: Wenn es ihr Wunsch ist, dann sollte sie sich kompetenten Rat holen bei niedergelassenen Psychiater*innen oder auch in Kliniken, die damit Erfahrungen haben. Ich weiß, dass es Kliniken gibt, die sich besonders um dieses Thema kümmern. Ich möchte meine Tochter keine Wünsche ausreden und bin auch nicht der Meinung, dass man bei familiärer Belastung aus Angst keine Kinder bekommen dürfte. Ich kenne junge Frauen, die trotz ihrer Erkrankung selbst ein Kind bekamen und wunderbar für ihr Kind sorgen können. Vielleicht hat es ihnen sogar geholfen, weil sie jetzt für einen anderen Menschen dasein mussten? Ich weiß nicht, wie das mit den Medikamenten vereinbar ist, aber dazu würde ich mir dann Informationen einholen, wenn sie das wollte.

Lesung in der Wuhletalkirche „Schizophrenie ist scheiße, Mama“

Zum Abschluss kam eine Frau zu mir, die mich fragte, ob man denn auch auf sein Kind wütend sein dürfe. Es würde bei mir so klingen, als ob ich immer nur für meine Tochter da gewesen wäre. Oh nein, natürlich dürfen wir wütend sein, das lässt sich oft gar nicht vermeiden! Ich war auch wütend auf meine Tochter und es gab Zeiten, in denen ich mir geschworen (!) habe, nie wieder (!) etwas für sie zu tun. Da war ihre ambulante Betreuerin hilfreich, die mich beruhigt hat und darauf hinwies, dass die schwierigen Verhaltensweisen eben der Krankheit zugeschrieben werden müssen. Und irgendwann habe ich dann auch begriffen, dass es nicht nur die Wahl gibt zwischen „Auffordern und Immer für das Kind da sein“ und auf der anderen Seiten den totalen Rückzug. Wenn wir früher lernen, auch auf unsere Gefühle zu achten, Loslassen und Grenzen ziehen (ich weiß, Sie können das nicht mehr hören, aber es ist dennoch wichtig!), dann werden wir gelassener reagieren und – ohne Wut – bei Zumutungen eben nicht mehr alles mitmachen.

Es ist ein lebenslanger Lernprozess für uns Angehörige. Leider! Auch wenn wir dazu gar keine Lust haben, aber das ist eben das Schicksal, das uns das Leben bereitet hat. Nein, das meine ich nicht esoterisch, sondern das ist eben einfach unser Leben.

Es war ein schöner Abend, viele haben mir gesagt, dass ihnen die Lesung und meine Ausführungen gut getan und gefallen haben. Und Bücher wurden auch gekauft. Das freut die Autorin natürlich.

Also: großen Dank an Frau Frauenstein und Herrn Pfeiffer von der Wuhletalkirche! Übrigens: Sie machen dort viele andere Veranstaltungen, die sehr interessant sind. Und es ist ein schönes Ambiente, eine wunderschönes Gelände mit blühenden Bäumen. Und alles in Hellersdorf! Ich hatte mir in Hellersdorf immer kahle Hochhäuser vorgestellt. Die gibt es da vielleicht auch, aber um die Wuhletalkirche herum war es grün und wunderschön.

Also, bis bald.

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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