Janine Berg-Peer/ April 26, 2014/ Alle Artikel/ 0Kommentare

laptop-wein-160-120Es ist so weit: Reise nach Chania und Athen mit MT

Wieso Milos oder Chios? Natürlich fahren wir nach Chania und dann nach Athen. Wir sind meine Tochter (MT) und ich. Die Festlegung war nicht leicht, es gab Streit, weil MT es unmöglich fand, dass ich die Entscheidung immer auf sie abwälzen will. Ich hingegen fand, dass MT sich auch mit der Planung beschäftigen könne oder sogar solle und dass alte Frauen, also ich, sich eben nicht mehr so leicht täten mit dem Entscheiden. das liegt übrigen nicht an einer nahenden Demenz, sondern, wie ich vor einigen Wochen von einem Fachmann zum Thema Altersdemenz erfuhr, nur daran, dass unsere Festplatten einfach viel voller sind. Für meine gleichaltrigen und IT-fernen Freunde und Freundinnen: Das ist die große Schiefertafel in dem Computer, auf die kleine Männchen (oder Frauchen) alles immer schreiben, was wir uns ausdenken. Und, sagte der Altersdemenzexperte, die ist bei uns Alten voller und daher dauern Entscheidungen länger oder brauchen wir auch länger, wenn wir auf einen Namen kommen wollen oder uns an das Rezept von Tante Mimi für diese wunderbaren griechischen Kalbsklöpschen in Zitronensauce erinnern müssen. Ich mag diesen Altersdemenzexperten.

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Warum habe ich das erzählt? Ach so, es ging um die Reise  nach Chania und Athen (Das ist jetzt wieder meine volle Festplatte im Kopf).  Nun habe ich mir einfach ein Herz genommen und Flüge und Hotels gebucht. Jetzt zittere ich, weil ich immer wieder vergleichen muss, ob die die richtigen Anschlussflüge und Anschlusstage in den Hotels gebucht habe. Und natürlich zweifele ich auch schon wieder daran, dass Athen und Chania eine gute Entscheidung war. MT findet das albern. Sie sagt, dass eine Entscheidung, die gefalle ist, nicht mehr hinterfragt werden soll. Sie hat jetzt anderes im Kopf und zwar hat sie mit einer Apfel- und Eier-Diät begonnen, weil sie an die Blicke der schwarzgelockten jungen Griechen denkt, die  sie am Pool beobachten. Ich hingegen überlege, ob ich noch irgendeinen Badeanzug finde, in den ich hineinpasse. Das ist zwar in meinem Alter egal, aber ich möchte nicht, dass die Griechen denken, dass hier eine dicke, saturierte Wohlstandsdeutsche kommt, die zur Krise in Griechenland beigetragen hat. Ich muss mal sehen, ob ich jemanden finde, der mir den Satz „Ich habe Angela Merkel nicht gewählt!“ auf griechisch übersetzt. Den muss ich dann auswendig lernen. Ich will nicht für ihre Taten haftbar gemacht werden im Land meiner Ahnen. Was MT übrigens nicht versteht – ihre Festpatte ist eben noch nicht voll genug – ist, dass Entscheiden ja auch immer Verzichten heißt. Und wer mag schon verzichten?

Es ist so weit: Reise nach Chania und Athen mit MT

stilleben-zigaretten-160-120Jetzt geht es wieder an die Reisevorbereitungen für Chania und Athen. Gut, es sind nur 14 Tage, aber wer weiß, wie das Wetter sein wird? Man kann sich doch heute auf nichts mehr verlassen. Meine Schwester erzählt, dass es im Mai schon brütend heiß war. Ein Freund berichtet, dass er im Juni in Griechenland mal gefroren hat. Die Klimatabelle von Globetrotter sagt sowieso immer dasselbe, bei denen sind die Erderwärmung und die entsprechenden Wetterinkonsistenzen noch nicht angekommen. Und jeder weiß, dass alles, was auf einer griechischen Seite steht, gelogen ost. Hat Professor Lucke von der AfD nicht gerade auf die Lügen der Griechen hingewiesen? Die wollen uns doch weismachen, dass es jetzt dort ökonomisch alles voran geht, aber ES STIMMT NICHT! Was Lucke nicht überrascht, er hat es gewusst, aber Frau Merkel nicht, deswegen hat er es ihr geschrieben. Ich weiß nicht, ob Herr Lucke immer die Wahrheit sagt, aber wo Rauch ist, ist ja bekanntlich auch Feuer. Also glaube ich den griechischen Seiten nicht, auf denen steht, dass dort immer schönes Wetter sei. Vor allem, weil die Griechen eben von Natur aus die Sonne im Herzen haben. Also wenn ich an meinen griechischen  Großvater denke, dass hätte er diesen Spruch blöd gefunden. Also wieder das Problem der Kleidervielfalt, die mitgenommen werden muss. 

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Natürlich fahren wir nicht nur wegen der schwarzgelockten Griechen nach Chania und Athen. Am 6. und 7.6.2014 findet in Athen das diesjährige Annual Meeting von EUFAMI, dem europäischen Dachverband aller Organisationen von Angehörigen psychisch Kranker statt. Darauf freue ich mich schon, vor allem, weil man mich gebeten hat, auch einen Vortrag zu halten. Das halte ich für eine große Ehre und darauf muss ich mich nun auch noch vorbereiten. Das Thema habe ich schon, aber die Feinarbeit fehlt noch. Ich werde darüber sprechen, was wir Angehörigen selbst dazu beitragen können, um unsere Belastungen zu reduzieren. Das finde ich wichtig und vor allem werden wir damit weiterkommen, als wenn wir immer von anderen fordern, dass sie uns helfen. Sie tun es nicht, nicht die Ärzte, nicht unsere Familien, nicht die sozialpsychiatrische Szene. Sie sind auch nicht für uns da, sie sind für die Betroffenen da und wenn wir Glück haben, dann erfüllen sie diese Aufgabe auch gut. Aber um uns müssen wir uns schon selbst kümmern.

Ich habe in meinen vielen Interviews mit Angehörigen gesprochen, die furchtbar leiden und am Ende ihrer Kräfte sind. Aber ich habe auch Angehörige gesprochen, die nach langen Leidensjahren eine gute Form gefunden haben, wie sie Grenzen ziehen und auch auf sich und ihre Kräfte achten. Und sie haben festgestellt, dass es ab diesem Moment auch ihren Kindern besser geht. Allen Angehörigen gehört mein Mitgefühl, ich kann ihre Sorgen nachvollziehen. Aber ich habe von anderen Angehörigen viel gelernt und versuche nun täglich, mehr an mich zu denken, Grenzen zu ziehen und aufrecht zu erhalten, mir nicht ständig Sorgen zu machen und meine Tochter wie einen erwachsenen Menschen zu behandeln, der selbst entscheiden kann, was er tut und auch die Folgen tragen kann. Auch ich muss immer wieder üben, weil ich zu gern in den Modus Sorgen machen, Angst haben, Krisen eindämmen wollen, zurückfalle. Aber ich lerne.

Es ist so weit: Reise nach Chania und Athen mit MT

Und das hab ich nun davon, dass ich sie wie einen selbständigen, erwachsenen Mensche behandle:  MT will mir keinen Platz in ihrem Koffer mit 20 Kilo abgeben, sie behauptet, dass sie auch ganz viele Klamotten mitnehmen müsse. Und sie weigert sich auch, eine große Büchertasche für mich zu tragen. Ich solle alle Bücher auf mein Kindle oder das IPad schaufeln, das würde reichen. Aber was ist, wenn die Batterie versagt? Sie findet, dass ich mir zu viele Sorgen mache.

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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