Janine Berg-Peer/ Juli 3, 2013/ Alle Artikel, Angehörige/ 1Kommentare

01_TagebuchPsychisch krank: Darf das niemand wissen?

Ich habe Zuschriften bekommen, in denen ich für meinen Mut, über die Erkrankung meiner Tochter zu sprechen, gelobt werde. Ich weiß, dass es sehr nett gemeint ist. Und ich weiß auch, dass dies ein Thema ist, mit dem sich sowohl Betroffene als auch Angehörige schwertun. Als meine Tochter krank wurde, kam ich überhaupt nicht auf die Idee, dass man darüber nicht reden dürfe. Mit Freunden und Bekannten sprach ich von Anfang an offen darüber. Meine Tochter hielt es ebenso. Natürlich gab es dann Zeiten, in denen wir weniger offen waren: Wir haben in der Berufsschule nichts davon erzählt. Keine der Lehrer und Lehrerinnen  machten uns den Eindruck, als ob sie dafür Verständnis gehabt hätten. Und auch an ihrem späteren Arbeitsplatz hat meine Tochter nichts erzählt. Aber: Als sie dann wieder in eine Krise kam, hat es jeder an ihrem Arbeitsplatz natürlich erkennen müssen. Die Betriebsärztin war sehr nett und empfahl ihr eine Auszeit, sie können ja jederzeit wiederkommen, wenn es ihr besser ginge. Das war gut für meine Tochter, weil es sie in diesem Moment tröstete. Ich hielt das für ein Lippenbekenntnis. Aber als sich meine Tochter vier Jahre später dort wieder meldete (was ich ungeheuer mutig fand!), freute man sich, dass sie sich meldete und bot ihr sofort wieder einen Job an. So etwas gibt es also auch.

Psychisch krank: Immer alles geheim halten?

Meine Tochter und ich waren also von Anfang an offen bei diesem Thema. Wir kamen gar nicht auf die Idee, etwas zu verheimlichen. Heute wissen wir beide mehr und haben auch Verständnis dafür, wenn man nicht darüber spricht. Meine Tochter redet natürlich heute nicht überall offen darüber. Aber mir ist auch nicht ganz behaglich, wenn ich bei Vorträgen und aus den Erzählungen meiner Tochter und von anderen Betroffenen höre immer wieder höre, dass Psychiater raten, NIEMALS zu erzählen, dass man an einer psychischen Erkrankung leide. Ich bin sicher, dass diese Empfehlung fürsorglich gemeint ist. Aber ist der Rat auch immer gut? Wie muss es auf einen Betroffenen wirken, wenn sogar der Arzt, der doch Verständnis für diese Krankheit hat, der Meinung ist, dass man keinesfalls darüber sprechen darf? Kann das nicht so wirken, als ob man sich für diese Krankheiten schämen müsse? Vielleicht ist diese Fürsorge manchmal gar nicht so gut. Sollte man nicht ruhig mit dem Betroffenen darüber sprechen, wann es gut sei, bei der Wahrheit zu bleiben und wann es tatsächlich besser noch verschwiegen wird? Ich denke, man sollte zumindest über beide Optionen sprechen und nachdenken. Natürlich weiß ich, dass es Vorurteile gibt und ganz konkrete Nachteile geben kann. Aber sollte man nicht auch darüber nachdenken, wie viel Angst jemand haben muss, der es verschweigt, erkannt zu werden?

Psychisch krank: Immer Angst davor, entdeckt zu werden?  05_Angehoerige

Ich habe auch keine allgemein gültige Lösung parat. Ich würde mir allerdings wünschen, dass wir alle mit psychischen Krankheiten offen umgehen knnen. Auch mir wurde abgeraten, dieses Buch zu schreiben. Angehörige, Betroffene und einige Mitglieder meiner eigenen Familie waren dagegen. Aber ich habe mich durchgesetzt, denn ich schreibe über mein Leben und es sind 16 Jahren meines eigenen Lebens. Das ist eine lange Zeit. Ich denke, dass wir Angehörige mutiger sein sollten, denn es gibt nichts, wofür wir uns schämen sollten. Schizophrenie, eine bipolare oder Borderline-Erkrankung – das sind Krankheiten wie alle anderen auch. Sicher kann ich mir gut vorstellen, dass es Situationen gibt, in denen man darüber schweigt – zum Schutz des eigene Kindes, des Partner oder der Eltern. Aber man sollte auch bedenken, welche Erleichterung es für die Betroffenen sein kann, endlich offen darüber reden zu dürfen. Das habe ich schon von vielen Betroffenen gehört. Ruth Fricke vom Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen- BpE berichtet das immer wieder in beeindruckender Weise. Die Filmemacherin Jana Kalms (Raum 4070), die in einem Film Interviews mit Betroffenen gemacht, berichtet davon, wie erleichternd es für einige von ihnen war, offen darüber zu reden. Einige, andere wieder wollten nicht an die Öffentlichkeit.

07__BlumePsychisch krank: Darüber reden oder nicht – es bleibt eine persönliche Entscheidung

Ich kann nicht sagen, was richtig ist. Das müssen wir alle für uns selbst entscheiden, und manchmal auch für die Menschen, die wir lieben und die krank sind, auch. Wir sollten nur auch daran denken, dass mehr Offenheit in der Gesellschaft uns allen nur besser tun kann. Die Reaktionen, die ich auf mein Buch bekomme, zeigen, dass sich viele Menschen mehr Offenheit wünschen. Sie freuen sich darüber, dass ihre Situation geschildert wird. Sie freuen sich darüber, dass die Situation in der psychiatrischen Versorgung geschildert wird und sie berichten, dass sie jetzt besser verstehen, was psychische Krankheit bedeutet und dass sie sensibler mit Menschen umgehen werden, die sich „merkwürdig“ verhalten. Und diese Reaktion bekomme ich von Angehörigen, Betroffenen und Fachleuten. Es scheint also ein Bedürfnis zu geben, darüber mehr Öffentlichkeit herzustellen. Das kann natürlich nicht der einzelne Betroffene allein tun, der sich gerade wieder in sein Leben zurück kämpft. Aber wir können uns alle überlegen, an welcher Stelle wir dazu beitragen.

Also es gibt keine leichte und keine einheitliche Lösung. Aber wir sollten alle Seiten abwägen.

Bildnachweis: © w.r.wagner / pixelio

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für Ihren Kommentar!
    Es gibt wirklich keine einheitliche Lösung! Es stimmt,dass psychiche Krankheiten mehr ins Bewußtsein rücken sollten.
    Aber Krankheit ist auch immer etwas Privates und geht auch viele Leute nichts an (meine pers. Meinung) Ich mag es auch nicht, wenn andere dauernd von Ihren Leiden erzählen.
    So muß man wirklich abwägen, wem man etwas erzählt.
    Der Gebrauch von „schizophren“ inder Presse empört mich auch immer!

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