Janine Berg-Peer/ Februar 25, 2015/ Alle Artikel, Angehörige/ 0Kommentare

Es gibt auch schöne Zeiten für Angehörige

Vieles in unserem Leben ist schwierig, oft ist es traurig und manches Mal auch sehr aufregend. Aber ich finde, wir sollten uns auch erzählen, wenn etwas Schönes passiert. Meiner Tochter geht es jetzt schon über ein Jahr lang richtig gut – sie hat sich vorgenommen, auch ein zweites Jahr ohne Krise zu schaffen. Jetzt werde ich gleich wieder abergläubisch und denke, ich hätte das nicht aufschreiben sollen, sonst fordere ich vielleicht das Schicksal heraus. Das meine ich jetzt nicht ganz ernst. Aber ich finde es gut, dass sie sich Ziele setzt. Dass sie nicht, wie vor Jahren, einfach voller Frustration und Wut  auf ihre Krankheit ist, sondern sich vernünftig darauf einstellt, sich kleinere Zieles zu setzen. Sie macht jetzt die Ex-In-Ausbildung in Münster bei der wunderbaren Gudrun Tönnes von LebensArt e.V.. Das macht ihr Spaß, sie lernt viel, denkt über sich selbst nach und gewinnt an Selbstbewusstsein.

Es gibt auch schöne Zeiten für Angehörige

Sie hat ihr erstes Praktikum in einem Bed & Breakfast für psychisch Kranke in Berlin-Spandau hinter sich. Die Betroffenen können da für zwei Jahre wohnen und werden intensiv betreut, d.h. es ist Tag und Nacht jemand da, den sie ansprechen können. Und was ich richtig gut finde: Sie müssen nicht unbedingt Tabletten nehmen, sie werden akzeptiert, wie sie sind, müssen sich nur an die Hausregeln halten. Ihr hat das Praktikum großen Spaß gemacht und ich war erstaunt und beeindruckt, wie sie manche Situationen gemeistert hat, bei denen ich doch etwa verunsichert gewesen wäre. Da zeigt sich, dass das Peer to Peer – Prinzip sich als gut erweist. Als Betroffene geht sie gelassener mit den anderen Betroffenen um, als ich das hätte tun können.

Es gibt auch schöne Zeiten für Angehörige

Aber nicht nur bei mir gibt es etwas Schönes zu berichten. Nach dem Erscheinen meines Buches hatten mich viele Menschen angerufen, die mir ihre Sorgen und ihren Kummer mit ihren Kinder berichten wollten. Mit Vielen durfte ich auch Interviews führen, in denen sie mir sehr offen über ihre Lebenssituation erzählt haben. Es waren teilweise erschütternde Schicksale dabei. Aber nachdem ich allen Interviewpartner zu Weihnachten eine Gruß gemailt habe, war ich überrascht und erfreut, weil viele Angehörige berichteten, dass sich die Situation sehr gebessert hatte. Jemand, der vorher obdachlos war, hatte ein gutes Heim in der Nähe der Eltern gefunden. Jemand, der lange in der geschlossenen Psychiatrie war, machte jetzt ehe Weiterbildung und suchte sich einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt. Eine Mutter, die vorher von ihrer Tochter regelmäßig beschimpft wurde, hatte wieder ein gutes Verhältnis zu ihr gefunden.

Es gibt auch schöne Zeiten für Angehörige

Ich weiß wie Sie alle, dass wir nicht wissen, was die Zukunft bringen wird. Es kann immer wieder Rückfälle geben, auch wir können immer wieder emotional aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Aber ich bin überzeugt davon, dass es uns hilft, wenn wir an den guten Zeiten freuen. Es gab Zeiten, in denen ich voller Sorge daran dachte, das bald wieder eine Krise kommen könnte. Das mache ich heute nicht mehr. Ich freue mich, wenn es meiner Tochter gut geht. und ich gebe ihr das Gefühl, dass auch eine neue Krise nicht die Katastrophe sein muss. Sie hat schon viele Krisen überrunden und wird auch die nächste schaffen. Mein Eindruck ist, dass es auch immer einfacher wird. Vielleicht auch deshalb, weil ich nicht mehr so aufgeregt reagiere, sondern sie mit mehr Gelassenheit unterstützen kann. Das habe ich auch bei viele anderen Eltern erlebt: Es geht uns und unseren Kinder besser, wenn wir uns in Gelassenheit üben und nicht immer in die krankheitsbedingte Aufregung mit hineingehen.

Ich bin jetzt mal ehrlich: Immer bin ich auch nicht gelassen! Aber immer öfter.

Alles Gute für alle Angehörige und bis zum nächsten Mal.

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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