Janine Berg-Peer/ November 19, 2025/ Alle Artikel, Angehörige/ 0Kommentare

Darauf sind Mütter von psychisch Erkrankten nicht vorbereitet.

Mütter sind auf alles vorbereitet: auf schlaflose Nächte, auf die Pubertät, gebrochene Beine, Schulversagen, verärgerte Lehrerinnen, auf geschiedene Ehen, auf fehlende Berufsaussichten, auf Krankheiten und vielleicht sogar auf den Tod.
Aber Mütter sind nicht vorbereitet darauf, dass ihr Kind sich nicht mehr in der gleichen Realität mit ihnen befindet. Sie sind nicht darauf vorbereitet, dass ihre Kinder nicht mehr wissen, wer sie sind. Sie sind nicht darauf vorbereitet, dass sie das Verhalten ihres Kindes nicht mehr deuten können. Überhaupt nicht mehr verstehen können. Nicht verstehen können, weil es nicht zu verstehen ist. Weil ihre Kinder, alte Gedanken und Gefühle ihrer Kinder sich ver-rückt haben. Das ist eine Situation, auf die sie nicht vorbereitet sind und mit der sie dennoch fertig werden müssen.

Darauf sind Mütter von psychisch Erkrankten nicht vorbereitet.

Daher kommt es auch vielen Müttern so vor, als ob jetzt ihr eigenes Leben zu Ende sei und sie nun eine neue Lebensaufgabe haben. Das, was ihren Kindern passiert, wenn sie in eine psychische Krankheit gerutscht sind, das ist vollkommen unvorstellbar. Etwas das nicht zu beschreiben ist. Etwas, das sie auch niemanden beschreiben können, und warum sie nicht nur von dem entrückten Kind entfernt sind, sondern auch von vielen anderen Menschen, die das nicht verstehen und nicht nachvollziehen können. Oder nicht nachvollziehen wollen.

Die sich entweder vollkommen entfernen, oder die mit schlechten Versuchen, es nachvollziehen zu können, mit plumpen Vergleichen kommen: Das kenne ich, das ist doch in der Pubertät auch so, ich kenne auch viele Menschen die irrational reagieren, ich kenne auch andere Mütter, die Schwierigkeiten mit ihren Kindern haben.

Darauf sind Mütter von psychisch Erkrankten nicht vorbereitet.

Solche Bemerkungen kränken, verärgern, aber in jeden Fall lassen Sie Mütter sehr allein zurück. Daher ist es eine so große Entlastung, mit anderen Angehörigen sprechen zu kommen, die ohne viel Worte verstehen, sagen, das und das passiert, die anderen nicken nur. Ja, das kenne ich.

Frau Müller ist nicht darauf vorbereitet, dass sie mit anhören muss, wie die Busfahrer an der Station, die sie und ihr Sohn häufig benutzen, sich abfällig über ihren verrückten Sohn äußern, der laut spricht oder auch andere merkwürdige Dinge tut. Wie geht es dann dieser Mutter? Sie schämt sich, sie schämt sich, weil sie auffällt, negativ auffällt. Sie schämt sich, weil er so negativ auffällt. Vor allem aber tut es ihr unendlich weh, dass andere Menschen so über den Sohn, den sie liebt, sprechen. Und sie kann es nicht erklären, oder sie traut sich auch nicht, es dem Busfahrer zu erklären.

Und was würde es helfen, wenn sie anfinge es zu erklären? Vielleicht sind die beiden Busfahrer dann beschämt, und reden nicht mehr schlecht. Vielleicht sind Sie nur still. Aber was ist mit den anderen Menschen im Bus, wem soll sie doch erklären, dass ihr Sohn nicht verrückt, nicht gewalttätig, nicht besoffen, nicht auf Drogen ist?

Sondern dass ihr Sohn einfach nur krank ist?

Es gibt Tage, an denen es Müttern alles einfach nur zu viel ist. An denen sie keine Kraft mehr haben. Aber am folgenden Tag brauchen sie wieder alle Kraft, um ihr Kind zu unterstützen. Und sie finden diese Kraft auch, obwohl sie selbst manchmal nicht wissen, woher diese Kraft kommt.

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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