Janine Berg-Peer/ November 18, 2014/ Alle Artikel, Angehörige, Termine/ 0Kommentare

Empfangsäpfel

Empfangsäpfel

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Am 5.11.2014 sollte ich einen Vortrag halten auf der Gütersloher Fortbildungstagung. Der Streik hat mich daran gehindert. Leider. Ich hätte gern die vielen Beiträge gehört. Und auch die Reaktion auf meinen Vortrag mitbekommen. Schade. Aber hier nun mein dort leider nicht gehaltener Vortrag. Es ging um Therapien und ich sollte aus der Sicht von Angehörigen berichten, was wirkt…

Ich musste lange darüber nachdenken, was denn aus meiner Sicht wirken könnte, also zur Genesung meiner Tochter beitragen könnte. Es fällt mir schwer, als Angehörige auf eine spezifische Therapieform einzugehen, die mir als besonders hilfreich für meine Tochter vorgekommen ist. Das kann ich vor allem deshalb nicht, weil ich in den vielen Jahren im Krankenhaus bis auf die medikamentöse Therapie niemals irgendeine Art von Therapie erkennen konnte. Ich will nicht ausschließen, dass Ärzte und Pflegepersonal in den Krankenhäusern eine bestimmte Strategie verfolgten oder bestimmte Therapien anwendeten. Nur wurde weder mir noch meiner Tochter jemals etwas dazu gesagt. Ich habe mit großem Interesse das Tagungsprogramm durchgelesen und war danach traurig. Es scheint so viele gute Ansätze zu geben und so viele qualifizierte Menschen, die diese an ihren Krankenhäusern oder in der ambulanten Therapie umsetzen. Wie kommt es eigentlich, dass ich in meinen 18 Jahren Erfahrungen in Krankenhäusern noch nie etwas davon habe bemerken können? Wobei das nicht ganz stimmt. Etwas habe ich bei einem Krankenhausaufenthalten bemerken können und auch meine Tochter bestätigt mir das: Langeweile. Davon gab es in allen Krankenhäusern reichlich. Vielleicht war das ein therapeutischer Ansatz, und weder meine Tochter noch ich haben das bemerkt.

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Ich meine das nicht ironisch, sondern ich habe mich bei meinen Besuchen auf den Stationen oft gefragt, warum mit den Patienten so wenig gemacht wird. Meisten saßen die Patienten herum, wenn sie nicht frierend um den Betonaschenbecher vor der Krankenhaustür herumstanden. Die Tür des Schwesternzimmers war meistens geschlossen – wegen Übergabe. Auf den vielen Tagungen in den letzten im letzten Jahr habe ich mich oft gefragt, warum weder meine Tochter noch ich auf diese qualifizierten Menschen gestoßen ist, die bei diesen Tagungen so engagiert über ihre besondere Form des Umgangs mit psychisch Kranken sprechen. Ich kann daher nur aus meiner Wahrnehmung etwas darüber berichten, was meiner Tochter im Kontakt mit Ärzten, Pflegepersonal oder Sozialarbeitern gut getan hat. Natürlich habe ich meine Tochter als Expertin ausführlich dazu befragt. Was tut dir gut, habe ich sie gefragt. Wenn Ärzte oder Krankenschwestern einmal freundlich zu mir waren, das hat mir gut getan, meinte sie. Wenn Sie meine Probleme ernst genommen haben. Wenn Sie mir zum Beispiel nicht gesagt haben, dass ist doch nichts macht, wenn ich 20 Kilo zunehme. Jetzt sei es doch viel wichtiger, dass ich wieder gesund würde. Ich sollte einfach beim Essen ein bisschen darauf achten. Das empfand meine Tochter als zynisch, wenn doch bekannt ist, welche Nebenwirkungen Neuroleptika haben und wenn das Essen im Krankenhaus auch bei Menschen, die keine Neuroleptika einnehmen müssen, dick macht. Und da gab mal es einen Pfleger, der hat sich manchmal mit mir nachts unterhalten, wenn ich nicht schlafen konnte, das hat mir gut getan. Oder auch der Arzt, der mich auch einmal verteidigt hat, als die Schwester ausgesprochen unfreundlich zu mir war. Zu der Freundlichkeit gehörte auch, dass der Arzt es im letzten Krankenhaus ermöglichte, dass meine Tochter ein Einzelzimmer bekam. Das wirkte heilend auf sie, weil sie in ihrer Manie andere Menschen als bedrohlich oder extrem störend empfand. Die Ärzte haben das verstanden und sind darauf eingegangen.

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Vielleicht sind das für Sie Kleinigkeiten, aber ich habe bei meiner Tochter und bei anderen Betroffenen immer wieder gehört, wie sehr diese kleinen Freundlichkeiten oder Verletzungen sie nachhaltig beeindruckt haben. Freundlichkeit und Zuwendung scheint als ganz unabhängig von der spezifischen Therapie ein wichtiges Element zur Unterstützung der Genesung zu sein. Das ist kein besonders erstaunliches Ergebnis, aber ich finde es wichtig, es immer wieder zu erwähnen, weil Freundlichkeit den Patienten gegenüber nicht zur Normalität des Stationslebens gehört. Was hat in der Klinik bei meiner Tochter „gewirkt“? Psychotherapie fand selten statt, Gruppensitzungen fand sie häufig anstrengend, was aber mit ihrem Krankheitsbild zusammenhängen kann. Was bestimmt ihren Genesungsprozess nicht gefördert hat war die Ergotherapie. Seidentücher bemalen oder Mandalas ausfüllen empfand sie als Zumutung. Dagegen fand sie eine Kochgruppe wunderbar. „Da konnten wir gemeinsam etwas tun, uns über Rezepte streiten und hinterher hatten wir ein viel besseres Essen, als wir es vom Krankenhaus bekommen haben. Da habe ich mich erwachsen behandelt und nicht so nutzlos gefühlt“. Besonders gut getan hat ihr eine Kinogruppe in der Klinik oder auch ein philosophisches Café außerhalb der Klinik. Das ist sicher für Patienten unterschiedlich, aber ich glaube, dass die Institutionen gut daran täten, sich ab und zu etwas Neues einfallen zu lassen. Ich halte auch eine intellektuelle Stimulierung von Menschen mit psychischen Störungen für sinnvoll. Das geschieht viel zu selten. Sie hat davon gehört, dass es Computer gestützte Therapien gibt, das hätte sie ich gewünscht. Meiner Tochter hat es immer gut getan, wenn sie kognitiv angesprochen wurde, weil sie damit das Gefühl hatte, dass sie als Patientin nicht für dumm gehalten wurde.

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Eine besonders nachhaltige Wirkung hatte es auf meine Tochter, als sie sich von den Ärzten ernst genommen fühlte und ihr ein Stück weit Autonomie zurückgegeben wurde. In einer Manie kam sie per Zwangseinweisung in die Klinik mit der Empfehlung des Psychiaters, sie für sechs Wochen auf der geschlossenen Abteilung unterzubringen. Schon einen Tag später war sie in einem viel besseren Zustand und sagte mir fast unter Tränen, dass der aufnehmende Arzt nicht der Meinung war, sie müsse sechs Wochen auf die geschlossene Abteilung. Es ginge ihr nicht gut, das könne er erkennen, aber er würde sie bitten, doch freiwillig auf die offene Station zu gehen. Dann könne sie auch jederzeit wieder nachhause gehen. Er glaube, dass ein oder zwei Wochen Ruhe und eine Überprüfung der Medikamente ihr helfen könne, wieder mit allem klar zukommen. Das war das erste Mal, dass ihr in dieser Weise begegnet wurde. Es kann ein Zufall sein, aber das war der Moment, in dem meine Tochter begann, sich aktiv mit ihrer Krankheit auseinanderzusetzen. Zwei Tage später rief sie zum ersten Mal nach langer Zeit eine Soziotherapeutin an und bat sie um Hilfe. Diese Soziotherapeutin ist das Beste, was meiner Tochter und auch mir passiert ist. Ihre Unterstützung wirkt: Sie gibt meiner Tochter Unterstützung im Alltag, unterhält sich mit ihr, gibt ihre Anregungen, hat ihr zu einem geschützten Job in einem Café nach einem Krankenhausaufenthalt geraten. Sie beobachtet Warnsignale und kann meine Tochter darauf hinweisen. Ihr ist es gelungen, beim letzten Mal meine Tochter davon zu überzeugen, mit ihr freiwillig ins Krankenhaus zu gehen.

Arbeit wirkt! Ich bin überzeugt davon, dass wir den Betroffenen helfen müssen, zu arbeiten, ganz unabhängig davon, ob es auf dem ersten Arbeitsmarkt oder in einer geschützten Werkstatt ist. Arbeit gibt Struktur, fachliche Anerkennung und bietet soziale Kontakte. Für meine Tochter ist Arbeit das Wichtigste neben der Freundlichkeit von Fachleuten. Und auch Angehörige wirken! Auch wir Angehörigen haben einen Einfluss auf die Genesung unserer Kinder oder Partner. Wir wirken, ob wir wollen oder nicht. Und, noch viel wichtiger, wir wirken, ob die Professionellen das für gut halten oder nicht. Mit unserer Einstellung und unseren Verhaltensweisen können wir Angehörigen die Genesung unterstützen oder beinträchtigen. Das Problem ist nur, dass wir Angehörigen als unausgebildete Laien nicht wissen können, welche Verhaltensweisen für unsere Kinder gut sind und welche nicht. Daher tun wir einfach das, was wir aufgrund unserer Persönlichkeit tun können: Die Diagnose „psychisch krank“ trifft uns wie ein Schock und auf die verwirrenden Verhaltensweisen unsere Kinder reagieren wir verwirrt. Weil wir aufgeregt sind, stehen uns unsere ansonsten erfolgreichen Copingstrategien im Umgang mit unserem psychisch kranken Kind nicht immer  zur Verfügung. Manche Angehörige reagieren hilflos, sind permanent aufgeregt über eine vorhandene Krise oder eine zukünftige Krise, machen sich Sorgen, schlafen nicht mehr, sind ständig in Alarmbereitschaft. Andere Angehörige wollen Ihr Kind retten: Sie nehmen ihm vorausschauend jedes Problem ab, kennen sich in allen Therapien aus, laufen von Arzt zu Arzt oder Krankenhaus zu Krankenhaus und hören sich jeden neuen Vortrag über Medikamente und ihre Wirkung an. Dann wieder gibt es die kontrollierenden Angehörigen: Sie wissen, was für Ihr Kind gut ist. Sie bestimmen, wo es wohnt, teilen die Tabletten zu, verbieten ihm, etwas zu tun, was ihrer Meinung nach zu einer Krise führen könnte. Welche dieser Strategien Angehörige auch immer verfolgen, für die betroffenen Kinder ist es nicht gut, mit aufgeregten Angehörigen konfrontiert zu sein. Auch nicht mit Angehörigen, die ihre eigene Sorge besänftigen wollen, indem sie dem Kind alle Probleme abnehmen oder es kontrollieren. Fachleute sehen diese Verhaltensweisen und ihnen wird wieder einmal bestätigt, was sie ohnehin wussten: Eltern können nicht loslassen. Angehörigen empfinden das genau so wie es gemeint ist: als Vorwurf. Viele Angehörige möchten gern loslassen, nur wissen sie nicht, wann der richtige Zeitpunkt ist und wie sie es machen können.

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Es wird bei dieser Tagung viel über Milieus geredet, also über den Einfluss der Umwelt auf die Betroffenen und seine Genesung. Wenn ich das richtig verstehe, dann ist es wichtig, diese Umwelt oder Umweltfaktoren so zu gestalten, dass sie sich positiv auf die Genesung auswirkt. Umso erstaunlicher ist es, dass Fachleute so wenig Mühe darauf verwenden, auf die Angehörigen als Wirkfaktoren einen positiven Einfluss auszuüben. Stattdessen werden Angehörige als störend empfunden, man ärgert sich darüber, dass sie die ärztliche Schweigepflicht umgehen wollen. Man sieht ihre Aufgeregtheit und weiß, dass diese nicht gut für den ohnehin schon aufgeregten Patienten ist. Immer noch werden Angehörige auch 2014 als Ursache für die Erkrankung oder als wenigstens Mitverursacher der Erkrankung gesehen. Wer etwas Positives für unsere Kinder bewirken will, muss Angehörige als wichtigen Umweltfaktor berücksichtigen und auch sie unterstützen. Lange war ich traurig darüber, dass ich als Mutter so negativ gesehen wurde. Heute frage ich mich nur, weshalb es den Fachleuten nicht in den Sinn kommt, Angehörige als wichtige Wirkfaktoren der Genesung zu erkennen. Ich unterstelle Fachleuten durchaus, dass sie an der Genesung meiner Tochter interessiert sind, aber warum vernachlässigen einen so wichtigen Milieufaktor, wie es Angehörige nun einmal sind? Würde es nicht naheliegen, dass man mit ihnen spricht und sie darüber informiert, welche Verhaltensweisen dem erkrankten Kind gegenüber hilfreich sind und welche nicht? Wir wollen unsere Kinder unterstützen, aber woher sollen wir wissen, was richtig ist? Vor allem: Wenn uns niemand das Therapieziel nennt und die einzelnen Schritte, die auf dem Weg dorthin unternommen werden sollen, wie können wir dann das Therapieziel unterstützen? Und so kommt es dazu, dass viele Angehörige einfach das tun, was sie für richtig halten oder was ihnen möglich ist.

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Niemand würde einen Krankenpfleger, einen Arzt oder einen Sozialarbeiter einem Menschen mit Psychiatrieerfahrung an die Seite stellen, der völlig unausgebildet einfach das macht, was er für richtig hält. Positiv „wirken“ würde also eine Einbeziehung von Angehörigen in die Therapie, so wie es auch in den Leitlinien Schizophrenie von der DGPPN empfohlen wird. Gern wird hier auf Psychoedukation verwiesen, die aber nicht flächendeckend angeboten wird. Psychoedukation hat eine wichtige Funktion: Sie kann helfen, Angst zu reduzieren, die aus Unwissenheit resultiert. Wir erfahren etwas über die Krankheit, ihre Ursachen, die Auswirkungen und Prognosen. Auch Angehörigengruppen helfen, weil sie Trost und auch manchen Rat bieten können. Aber Psychoedukation ist ebenso wenig wie eine Angehörigengruppe eine Einbeziehung in die Therapie des eigenen Kindes. Eine wirkliche Einbeziehung von mir als Mutter von Beginn an fehlt fast immer. Ich hätte besser auf die Genesung meiner Tochter einwirken können, wenn mir am Anfang der Erkrankung gesagt worden, was das Ziel der Therapie und wie über die Medikamente, die Gruppen, oder der Krankenhausaufenthalt selbst das Therapieziel erreicht werden soll. Weiter hätte ich mir gewünscht, dass ein Arzt oder eine Krankenschwester sich die Zeit nimmt und mir sehr konkret sagt: „Mit diesem Verhalten können Sie Ihre Tochter unterstützen. Wenn Sie aber jenes tun, dann ist das nicht gut für Ihre Tochter.“ Es hat ganz selten solche Ärzte gegeben. Und das hat sich sicher sehr gut für meine Tochter und für mich ausgewirkt.

Was können Angehörige tun? Auf Tagungen hören wir oft, dass wir Angehörigen eine stabile, liebevolle aber auch grenzziehende Umgebung für unsere Kinder sein müssen. Dieser wunderbare Rat hat mir sofort eingeleuchtet. Nur gab es ein kleines Problem: Ich wusste nicht, wie ich eine stabile, liebevolle und auch grenzziehende Umgebung für meine Tochter sein sollte, wenn ich voller Angst war, mir permanent Sorgen machte, schlecht schlief, chronische Schmerzen entwickelte und mit der Beschäftigung mit meiner Tochter und der Notwendigkeit, Geld zu verdienen, unter ständigen Zeitdruck stand. Wie kann ein solcher Mensch eine stabile und liebevolle Umgebung sein? Wie kann ich dafür sorgen, dass meine Wirkung auf meine Tochter ihre Genesung unterstützt und nicht behindert? Ich habe für mich habe ich die Antwort gefunden: Hilfe von Ärzten, Pflegepersonal oder Sozialarbeitern erwarte ich nicht mehr. Ich werde mich nicht mehr mit neuen Therapien, skandinavischen Modellprojekten oder aufgeregten Vorträgen über die Nebenwirkung von Medikamenten beschäftigen. Ich denke, dass die therapeutischen Ansätze in den Händen von Fachleuten gut aufgehoben sind. Mit den heutigen Vorträgen bestätigt sich diese Überzeugung und ich hoffe, dass Sie mit diesen Methoden viel Gutes für Ihre Patienten bewirken können. In jedem Fall können Sie das viel besser als ich, weil Sie dafür ausgebildet sind. Was Medikamente betrifft, ist das ein Thema zwischen meiner Tochter und ihrem Psychiater. Ich mische mich nicht ein, das traue ich mich gar nicht. Woher sollte ich als Soziologin die pharmakologischen Kenntnisse haben, mit denen ich angemessen beurteilen kann, welche Medikamente gut für Sie sind und welche nicht? Ich sehe auch, dass meine Tochter das sehr kompetent mit Ihrem Arzt aushandelt.

Was wirkt aus der Sicht von Angehörigen?

Aber womit ich mich beschäftigen möchte und muss, ist die Frage, wie ich lernen kann, meine Tochter bei ihrer Genesung zu unterstützen. Nicht als Therapeutin, sondern als Mutter und Teil eines Milieus, das stabilisierend wirkt. Ich muss meine Aufgeregtheit überwinden, sie nicht mit meiner Angst und meinen Sorgen belasten. Ich muss lernen, Grenzen zu ziehen und loszulassen. Wie kann ich das schaffen? Ich glaube, der erste Schritt ist es, die Realität anzuerkennen. Meine Tochter leidet an einer Krankheit, die sie phasenweise immer wieder beeinträchtigen kann. Kein noch so innovatives Projekt, kein Arzt, der mit mir redet und kein neuer therapeutischer Ansatz wird das grundsätzlich ändern. Aber ich kann mich selbst ändern, ich kann meine Einstellung zu der Krankheit und zu meiner Tochter ändern. Ich kann gelassener werden und mir nicht ständig Sorgen machen. Ich kann lernen, mit Unsicherheit zu leben. Ich kann die Zukunft nicht beeinflussen, mich aber jeden Tag darüber freuen, dass es meiner Tochter heute gut geht. Ich kann meiner Tochter Zuversicht geben und sie dabei unterstützen, den Weg zu gehen, den sie sich für ihre Genesung vorgenommen hat, ganz unabhängig davon, ob der Weg mir Sorgen macht. Ich kann mich auch wieder um mein Leben kümmern. Es wirkt sich positiv auf sie aus, wenn sie sieht, dass es ihrer Mutter gut geht und sie wieder Freude an ihrem Leben hat. Solange meine Tochter glauben musste, dass es mir ihretwegen schlecht ging, war das eine ungeheure Belastung für sie. Vor allem aber muss ich meine Angst vor einer neuen Krise überwinden. Krisen gehören zum Leben, vor allem zum Leben von Menschen mit einer psychischen Störung. Ich halte es für falsch, dass Angehörige und Ärzte und Sozialarbeiter immer auf die Vermeidung von Krisen fokussiert sind. Das beunruhigt den Patienten nur und er fühlt sich als Versager, wenn er es wieder einmal nicht geschafft hat, eine Krise zu vermeiden. Genau das hat mir meine Tochter gesagt und das hat mir sehr zu denken gegeben. Heute bin ich überzeugt davon, dass es sich positiv auswirkt, wenn wir den Betroffenen die Angst vor einer Krise nehmen. Angst kann nie ein stabilisierender Faktor sein. Viel wichtiger ist es, frühzeitig Symptome zu erkennen und zu lernen, mit Krisen umzugehen. Ich bin heute überzeugt davon, dass meine Tochter schon viel besser mit ihren Krisen umgehen kann. Und sie weiß, dass auch ich nicht mehr in Panik gerate, sondern sie in der Krise liebevoll begleiten kann. Das wirkt.

 

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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