Janine Berg-Peer/ Juli 26, 2015/ Alle Artikel, Termine/ 0Kommentare

macaron-orange-500Münsterlingen – Vortrag mit Tochter!

Am 3. und 4. Juni 2015 waren meine Tochter und ich in der Klinik Münsterlingen in der Schweiz eingeladen. Wir durften am ersten Tag an einer trialogischen Diskussion teilnehmen und am zweiten Tag habe ich die Wünsche von Angehörigen an die Profis dargestellt, wobei meine Tochter ihre Sicht ergänzt hat. Wir saßen auf schönen Sesseln auf einem Podium und Dr. Marko Hurst, der psychiatrische Leiter des Abklärungs- und Aufnahmezentrums (AAZ) der Psychiatrischen Dienste Thurgau, moderierte.  Schon diese Institution ist interessant: Dort können erwachsene psychisch kranke Menschen schnell und niederschwellig eine für sie massgeschneiderte Unterstützung, Beratung oder Behandlung erhalten. Könnte doch ein Modell für uns sein, oder? Marko Hurst moderierte unsere trialogische Diskussion freundlich und sachkundig: Meine Tochter berichtete, was ihr immer wieder Kraft gegeben hat und gibt, sich weiter ins Leben zurück zu kämpfen und ich erzählte, wie ich mich von einer aufgeregten und unglücklichen Angehörigen zu einer gelasseneren Angehörigen weiterentwickelt habe. Wir erzählten aber auch beide, was uns miteinander Schwierigkeiten gemacht hatte und wir wir langsam gelernt haben, die jeweilig andere Sicht zu verstehen und zu akzeptieren. Anschließend ergab sich eine angeregte Diskussion, in der die Angehörigen von eigenen Erfahrungen berichteten oder auch um Rat für ihre Situation baten. Nicht immer konnte eine Lösung angeboten werden, aber dennoch hat sich auch hier wieder gezeigt, dass es allen hilft, wenn Erfahrungen ausgetauscht werden.

Münsterlingen – Vortrag mit Tochter!

Im Anschluss wurden wir mit köstlichen Snacks bewirtet und  konnten uns zwanglos untereinander austauschen. Das alles bei strahlendem Sonnenschein vor der Kulisse des wunderschönen Bodensees, man kann sich gut vorstellen, dass eine solche Umgebung verwirrten Menschen gut tun kann.  Ich war besonders gerührt, wie viele Eltern sich an meine Tochter wandten und sie nach ihren Erfahrungen fragten. Am Abend konnte Interessierte noch den wunderbaren Film „Durchgeknallt“ mit Angelina Jolie und Wynona Ryder ansehen – ein großartiger Film (Auf Englisch „Girl interrupted“), in dem sehr eindringlich, aber nicht effektheischend die Situation von mehreren Mädchen in einer Psychiatrie gezeigt wird. Sehr sehenswert, dieser Film!

Am nächsten Tag waren vor allem Mitarbeiter/innen der Klinik Münsterlingen und auch Profis aus dem näheren Umfeld anwesend, als ich einen Vortrag zu den Wünschen von Angehörigen an Profis hielt. Auch hier ergab sich anschließend eine gute Diskussion. Mir ging es nicht darum, die Psychiatrie insgesamt – wieder einmal – anzuklagen, sondern ich wollte den Profis die Perspektive der Angehörigen verdeutlichen. Ich glaube inzwischen, wenn wir mehr miteinander sprechen, dann können wir zeigen, was uns helfen würde und die Profis können auch uns zeigen, warum sie in manchen Situationen nicht anders handeln können. So ungern ich es auch sage, aber wenn wir wollen, dass Profis unsere Perspektive verstehen, dann sollten wir auch versuchen, die Perspektive der Psychiater, Sozialarbeiter und Krankenpfleger zu verstehen. Verstehen heißt ja nicht gleich akzeptieren – wir können und sollen immer noch sagen, was uns missfällt. Aber solange wir uns immer als Kontrahenten gegenüber stehen, wird sich wenig verändern.

Münsterlingen – Vortrag mit Tochter!

Als uns einer der anwesenden Klinikärzte zum Abschluss fragte, was wir den Mitarbeiter/innen mitgeben wollten, sagte ich, dass mir ein wenig Verständnis und Freundlichkeit vor allem am Anfang gut getan hätte. Und meine Tochter griff sich das Mikrophon und schickte mit den Worten „Das Wichtigste ist, dass ihr uns nicht aufgebt! Wenn ihr nicht an uns glaubt, dann fällt es uns auch schwer, an uns zu glauben!“ einen engagierten Appell an die Anwesenden.

Es waren zwei gelungene Veranstaltungen, was uns auch die Angehörigen und auch später die Krankenhausmitarbeiter/innen bestätigten. Ich danke der Klinik für die Einladungen und vor allem Frau Perini Allemann dafür, dass sie diese wunderbare Veranstaltung organisiert hat. Und Marko Hurst für die gute Moderation und allen beiden für unsere heiteren und guten Gespräche bei köstlichem Schweizer Risotto!

Wer meine Vortrag ansehen will, kann das hier tun:

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Bis bald!

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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