Janine Berg-Peer/ November 23, 2012/ Alle Artikel/ 0Kommentare

Erfolgreich  und Schizophren

beschreibt Elis Saks,Professorin  für Psychologie an der University of Southern California, ihre persönlichen Erfahrungen mit der Krankheit Schizophrenie in der New York Times. Vor 30 Jahren erhielt sie die Diagnose Schizophrenie mit einer äußerst schlechten Prognose. Ihr wurde prognostiziert, dass sie niemals selbständig leben können würde, niemals einer Arbeit nachgehen oder gar eine Partner finden und heiraten könne. Bestenfalls würde ihr Zuhause ein betreutes Wohnheim sein, in dem sie die Zeit gemeinsam mit anderen mit ähnlichen Diagnosen beim Fernsehen verbringen würde. Allenfalls könnte sie kleine anspruchslose Arbeiten erfüllen, wenn ihre Symptome zeitweise schwächer geworden seien.

Diese Diagnosen werden auch heute noch gestellt und mit derartigen Prognosen versehen.

Und auch heute noch vermisse ich bei vielen Ärzten, Therapeuten oder Sozialarbeiten, dass sie ihre Patienten anspornen, sich etwas zuzutrauen, immer wieder Schritte zu unternehmen, zu lernen, sich weiter zu qualifizieren und vor allem, zu versuchen, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Ich weiß, dass das einfacher klingt, als es ist, aber am Beispiel meiner Tochter bin ich überzeugt davon, dass es sich lohnt und wichtig ist.

Elin Saks hat irgendwann eine Entscheidung getroffen und sich vorgenommen, selbst über ihr Leben zu entscheiden. Sie ist heute Professor  für Psychologie an der University of Southern California und lehrt noch an weiteren Universitäten. Von der MacArthur Foundation hat sie ein Hochbegabtenstipendium erhalten. Und inzwischen hat sie auch einen Partner im hohen Alter gefunden, wie sie schreibt, nach 18 Jahren ohne jemals mit einem Mann auszugehen.

Sie plädiert dafür, Menschen mit psychischen Erkrankungen vor allem dazu zu verhelfen, eine Arbeit zu finden.

Wichtiger als alle Sozialmaßnahmen ist es, sie immer wieder dazu anzuhalten, eine Arbeit zu suchen. Die Anerkennung, die durch andere Menschen bei der Arbeit möglich ist, sei einer der wichtigsten Faktoren dafür, dass auch Schizophreniekranke eine gutes und erfülltes Leben führen können.

Ich stimme ihr bei jedem Satz zu: Statt der vielen Projekte, in denen psychisch Kranken Töpfern, Modellieren oder eine andere Art des Zeitvertreibs angeboten wird, sollte daneben immer wieder versucht werden, die Kranken in Arbeit zu bringen. Für diejenigen, die es nicht wissen: Auch Schizophreniekranke sind i.d.R. nicht immer krank, sie können lange Phasen dazwischen haben, in denen sie vollkommen symptomfrei sind. Wir sollten die Erkrankten nicht verwahren – obwohl auch das häufig nicht einmal passiert -, sondern sie in das richtige Leben entlassen und dabei auch Risiken eingehen. Es ist ihr Leben. Es geht nicht darum, dass wir Angehörige sie vor Schaden beschützen wollen.

Mir und meiner Tochter wurde vor 16 Jahren vorgeworfen, dass ich zu ehrgeizig sei,

dass ich sie dazu treibe, ihren Schulabschluss fertig machen zu wollen. Nichts weniger war wahr. Es war ihre Entscheidung, sie wollte zurück ins normale Leben. Sie hat ihre Schule geschafft und sie hat auch ihre Lehre geschafft, wenn auch mit Unterbrechungen und Rückfällen und Krankenhauseinweisungen. Aber diese Rückfälle lagen nicht daran, dass sie lernen wollte, sie lagen daran, dass sie ihre Medikamenten abgesetzt hatte. Und jetzt macht sie weiter. Genau so wie Elin Saks: Mit Medikamenten, ihren Therapeuten, ihrem Arzt und ihrer Soziotherapeutin. Sie muss nicht Professorin werden, aber sie kann es schaffen, einen Job zu finden, der ihr Spaß macht und Anerkennung bringt. Und wenn es zwischendurch wieder Rückfälle gibt? Dann werden wir auch damit fertig. Auch Elin Saks sagt, dass sie es ohne Medikamente bis zum heutigen Tag nicht schaffen würde.

Jeder Mensch hat ein besonderes Talent, was er in die Welt bringen möchte, zitiert Saks eine Interviewpartnerin. Damit, sagt sie, drückt sie nur aus, was Menschen, die an Schizophrenie oder anderen psychischen Krankheiten leiden, sich ebenso wünschen wie jeder anderer Mensch: In den Worten von Sigmund Freud: Zu arbeiten und zu lieben.

http://www.nytimes.com/2013/01/27/opinion/sunday/schizophrenic-not-stupid.html?src=me&ref=general

Bildnachweis: © w.r.wagner / pixelio

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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