Janine Berg-Peer/ September 26, 2013/ Alle Artikel/ 5Kommentare

Schizostapel-160-120„Darf ich noch lachen?“ Artikel in „Laura“

In der Zeitschrift „Laura“ – das ist meine Welt, Ausgabe Nr. 40 v. 25.9.2013 erschien gestern ein Artikel zu meinem Buch und zum Thema psychische Krankheiten. Überschrift war „Ich fragte mich oft: Darf ich noch lachen?

Tatschlich habe ich mich zu Beginn der Krankheit oft gefragt, ob ich noch ein normales Leben führen darf angesichts der Schwere der Erkrankung meiner Tochter. Darf ich mich mit Freunden treffen, lachen, zur Kosmetik gehen, mich verlieben, in Urlaub fahren? Die Diagnose „Schizophrenie“hatte mich dermaßen geschockt, dass ich glaubte, alles andere außer der Krankheit würde oder müsste aus meinem Leben verschwinden. Natürlich ist das falsch. Natürlich dürfen und müssen wir Angehörigen alles das tun: Unser eigenes Leben führen, lachen, uns freuen. Nur sollte uns das viel früher gesagt werden. Wir brauchen gerade am Anfang der Krankheit Menschen, die uns genau dazu raten. Nein, wir brauchen viel weniger  Psychoedukation über Neurotransmitter und den multifaktoriellen Ansatz in der Entstehung psychischer Krankheiten. Wir brauchen vor allem den Hinweis, dass wir niemals Schuld haben an der Entstehung und wir uns auch um uns selbst kümmern müssen. Oder auch um unsere anderen Kinder, unsere Lebenspartner oder Lebenspartnerinnen. Um Freunde, Hobbys und unseren Beruf. Wir erfahrenen Angehörigen wissen, dass wir unseren Kindern nur helfen können, wenn wir auch lachen können. 

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Je mehr ich über psychische Krankheiten, über Institutionen des Versorgungssystem, Wirkungsweisen und Nebenwirkungen von Medikamente, gesetzliche Regelungen zum Erhalt einer Rente oder einer Zwangseinweisungen, Kommunikation mit psychisch Kranken und Modellprojekte in der ambulanten Versorgung weiß, desto mehr ärgere ich mich darüber, dass ich das alles wissen muss. Wenn eine Familienmitglied einen Tumor hat, dann muss ich mir keine chirurgischen oder onkologischen Kenntnisse aneignen. Ich kann darauf vertrauen, dass die Ärzte wissen, wie man einen Tumor entfernt. Und i.d.R. werden Familienangehörige dann von den Chirurgen oder Onkologen auch über die unterschiedlichen Methoden informiert. Oder uns wird empfohlen, auch eine zweite Meinung einzuholen. Haben Sie schon erlebt, dass ein niedergelassener Psychiater oder ein Kliniker Ihnen nach der Diagnose „Schizophrenie“ empfohlen hat, sich auch einmal anderswo umzuhören, da es ja unterschiedliche Meinungen zu Diagnose oder Medikamentengabe gibt? Warum ist das bei uns alles anders?

„Darf ich noch lachen?“ Artikel in „Laura“

07__BlumeEigentlich möchte ich lieber mit meiner Tochter schöne Dinge machen, Capuccino trinken, ins Kino gehen, spazieren gehen oder bunte Kissen für ihre Wohnung kaufen. Stattdessen beschäftige ich mich mit den fachlichen Dingen, die doch eigentlich von den vielen Fachleuten zu den psychisch Kranken kommen sollten. Und da bin ich mit Sicherheit nicht die Einzige. Wir Angehörige müssen im Schnelldurchgang eine Qualifikation in Psychiatrie, Pädagogik, Pharmakologie, Jura, Kommunikation, Krankenhausverwaltung, Versicherungslehre (gibt es sowas?), Mietrecht etc. durchlaufen. Andere haben für ein Fach 4 bis 6 Jahre lang studiert. Und dann wundert man sich, dass wir nicht mehr lachen (können). Aber das sollten wir: Wir Angehörige sollten etwas, nein viel für uns tun. Wir sollten uns am Leben freuen.

Zufriedene, fröhliche, glückliche Angehörige sind bessere Angehörige. 

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Bildnachweis: © w.r.wagner / pixelio

und eigene Fotos

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

5 Kommentare

  1. Hallo Ihr Lieben, ich bin jedesmal wieder begeistert, wenn ich Ihre Artikel/Kommentare lesen darf. Ich denke jedesmals mir spricht jemand aus der Seele – ich habe es noch nicht geschafft, eine professionelle Angehörige zu sein aber arbeite daran stetig und fühle mich schon jetzt durch die „warmen“ Worte immer wieder bestätigt und gut dabei. Bitte weiter so. Ich freue mich schon jetzt auf die Sendung im WDR. Schöne Grüsse aus Hamburg, Ulrike Schulz

    1. Das freut mich! Herzliche Grüße aus Berlin.

  2. … Und als ich letztendlich die Einsicht gewann, dass ich noch lachen darf, wurde ich mit einer viel härteren Frage konfrontiert: Kann ich noch lachen? – Ich arbeite daran. Täglich.

    Liebe Grüße und danke für den Artikel,
    Anita. (Angehörige eines suchtkranken Menschen)

    1. Lachen Sie. Tun Sie sich etwa Gutes. Vielleicht geht es Ihrem Angehörigen dann auch nicht besser. Aber Ihnen. Und Sie zählen genauso viel. Und Sie sind dann den Anforderungen auch besser gewachsen. Herzliche Grüße.

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