Janine Berg-Peer/ Oktober 3, 2013/ Angehörige/ 2Kommentare

07__BlumeAngehörige selbst auch psychisch belastet!

Viele Angehörige wissen es auch ohne wissenschaftliche Untersuchungen: Oft sind die Belastungen durch unsere erkrankten Kinder, Eltern oder Lebenspartner/innen so hoch, dass wir nicht nur somatische Krankheiten bekommen, sondern auch selbst in der Gefahr stehen, psychisch zu erkranken. Herzerkrankungen oder chronische Schmerzen kennen viele Angehörige, ich selbst war davon betroffen. Aber auch Depressionen unter Angehörigen sind nicht selten. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass viele von uns jahrelang unter erheblichem Stress stehen und auch kein Ende davon abzusehen ist. Das ist bekannt, aber weniger öffentlich bekannt ist die Tatsache, dass viele Angehörige vor lauter Sorge und Beschäftigung mit dem erkrankten Familienmitglied ihre eigenen Gesundheit jahrelang vernachlässigen. Wie kann ich mich um Kopfschmerzen, Müdigkeit, Bandscheibenschmerzen u.ä. kümmern, wenn meine Tochter oder mein Sohn eine so gravierende Krankheit hat? Darf ich mich überhaupt um mich selbst kümmern? Darf ich mich beschweren, wenn doch eine psychische Krankheit so viel schlimmer ist?

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Aber diese Vernachlässigung der eigenen Gesundheit und überhaupt der eigene Wünsche oder Lebensziele rächt sich. Das Royal College of General Practitioners (Allgemeinärzte) hat davor gewarnt. Dr. Gerada, RCGP Sprecherin, hat der BBC mitgeteilt, dass Angehörige ihre eigene Gesundheit vernachlässigen und es nur eine Frage der Zeit ist, bevor sie selbst auch krank werden. Sie haben ein hohes Risiko physisch und psychisch an stressbezogenen Krankheiten zu erkranken. Aber es ist oft sehr schwer für sie sich einzugestehen, dass sie wirklich mit ihrer Situation zu kämpfen haben. Das College empfiehlt, eine Datenbank der 7 Million Angehörigen zu erstellen, damit den 40% geholfen werden kann, die bereits an Depressionen oder anderen psychologischen Problemen leiden. Sie verweisen darauf, dass die Hausärzte ebenso wie das ganze Gesundheitssystem an einer Knappheit von Ressourcen leidet. Aber in ihrem Report fordern sie, dass die Ressourcen dort verwendet werden müssen, wo sie am meisten benötigt werden.  Und es sind die Angehörigen, die vor allem medizinische Hilfe und Unterstützung benötigen.

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Gerada weist weiter darauf hin, dass pflegende Angehörige ein „wichtiger Posten“ sind, da sie ohnehin der öffentlichen Hand jährlich extrem viel Geld sparen. Wenn Angehörige krank werden, dann sind zwei Patient/innen  betroffen: Die Person, die gepflegt wird und die pflegende Person. Daher ist es nur vernünftig, wenn die Gesellschaft darauf achtet, dass die Gesundheit von Angehörigen bewahrt wird. Das College hat eine 9-Punkte-Liste als Teil eines Online-Führers erstellt. Darin wird auch ein „Angehörigen-Champion“ gefordert in allen Allgemeinpraxen gefordert ebenso wie Audits, bei denen die Verbesserung in der Unterstützung für Angehörige überprüft wird.

Quelle: The GuardianMay 2013, „Carers should be monitored for mental health problems, warn doctors, May 2013

 

Bildnachweis: © w.r.wagner / pixelio und eigene Fotos

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

2 Kommentare

  1. Hallo Janine,
    mal wieder ein Artikel, der nur WAHRES enthält. Wie oft habe auch ich als Mutter eines psychisch erkrankten Sohnes schon gedacht – ich zerbreche an dieser Belastung, ich möchte dieses „Problem“ nicht mehr haben und habe mich verkrochen und bin depressiv geworden. Sehr, sehr gern würde ich mich für und mit Angehörigen engagieren – habe aber keine echte Idee, wie ich es anfangen soll. Der Versuche, eine Selbsthilfegruppe in Hamburg für Angehörige von Zwangserkrankten zu gründen ist gescheitert. Vielleicht gibt es Angehörige, die gern mit mir zusammen in Hamburg für die Angehörigen etwas auf die Beine stellen wollen (ulpischulzi@freenet.de). Noch einen schönen Feiertag Allen. Liebe Grüsse aus Hamburg, Ulrike Schulz

  2. Liebe Ulrike Schulz, ich kann das nur hier veröffentlichen, vielleicht finden sich Menschen in Hamburg. haben Sie sich denn mal an den Hamburger Landesverband der Angehörigen psychisch Kranker gewandt?
    Ihnen einen schönen Feiertag – machen Sie es sich schön, trotz allem.

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